Herr Jakob zum Thema Fluchten

„Herr Jakob, für gewöhnlich schlafen Sie im November.“
„Ja, da haben Sie ganz recht. Es ist nicht die Zeit für mich, wach zu sein. Verzeihen Sie daher, wenn ich nur langsam antworte. Wenn ich schon wach bin, dann mache ich wenigstens alles sehr langsam.“
„Das scheint ja ohnehin gut zu Ihnen zu passen…“
„Ach?“
„Herr Jakob, darf ich Ihnen die erste Frage stellen?“
„…“
„Herr Jakob?“
„Ja, bitte? Ja, die Frage. Ach, wie war die Frage?“
„Herr Jakob, könnte man einen solchen Rückzug im Winter, wie Sie ihn pflegen, nicht auch als Flucht vor dem Leben betrachten?“
„Flucht? Mhm. Flucht sagen Sie. Nein, als Flucht würde ich dies nicht betrachten. Sehen Sie mal, wenn Sie im Winter schlafen, dann leben Sie ja im Sommer viel intensiver. Schon im Frühling fängt das an, Sie nehmen da ganz anders wahr… die Farben, die Gerüche… das ändert sich alles dramatisch, wenn Sie zuvor lange genug geschlafen haben. Probieren Sie das einmal aus! Sie werden das Gefühl haben, Sie hätten vorher alles nur in schwarz-weiß gesehen.“
„Nun, das mag sein. Doch entziehen Sie sich nicht einfach allen Verpflichtungen, wenn Sie den ganzen Winter hindurch schlafen? Sie sind ja dann schlicht für niemanden erreichbar!“
„Ja, natürlich nicht! Jedenfalls für niemanden, der nicht auch schläft. Wissen Sie, die Welt des Winterschlafs ist eine ganz eigene Welt. Und glauben Sie mal bloß nicht, es gäbe da keinerlei Verbindung zur übrigen Welt. Mitnichten ist das so, sage ich Ihnen, mitnichten! Sie müssen es einmal ausprobieren, Sie werden Erstaunliches feststellen. Flucht? Nein, als Flucht würde ich das nun wirklich nicht bezeichnen. Eher als Entdeckungsreise. Ja, Entdeckungsreise, das beschreibt es sehr gut.“
„Entdeckungsreise?“
„Ja. Sie entdecken Dinge, von deren Existenz Sie vorher nicht einmal eine Ahnung hatte. Doch nicht nur Dinge, darum geht es eigentlich gar nicht… es geht vielmehr um Erkenntnisse. Ja, Erkenntnisse, darum geht es. Wissen Sie, wenn ich das hier so offen sagen darf… Winterschlaf hilft gegen Dummheit. Er hilft dabei, Dinge in einem neuen Licht zu sehen. Also, mit Flucht vor dem Leben hat das nun ganz und gar nichts zu tun!“