Herr Jakob zum Thema Überraschungen

„Hach!“
„Herr Jakob?“
„Ach nein, ach Gott, ach wirklich?“
„Herr Jakob?“
„…“
„Herr Jakob, Sie scheinen mir gerade ganz aus dem Häuschen zu sein…“
„Ach ja?“
„Hach ja! Haben Sie da eben tatsächlich Purzelbäume geschlagen?“
„Ich? Purzelbäume? Wo kämen wir denn da … aber ja! Ja! Entschuldigen Sie bitte, ich bin ganz durcheinander…!
„Es geht Ihnen aber gut …?“
„Es ging mir noch nie besser! Ich bin nur gerade etwas, wie soll ich sagen, nicht nur etwas, sondern völlig, ich bin völlig überrascht.“
„Überrascht? Ist etwas passiert?“
„Nun, wie soll ich es sagen. Schauen Sie einmal, sehen Sie das hier?“
„Sie meinen diese Hühnerskulptur, die einmal der Kopf irgendeines Lokalprominenten werden sollte, aber immer eher wie ein Huhn aussah?“
„Ach Gott, ja. Wissen Sie, da gab es so einen Wettbewerb. Und ich habe da tatsächlich ein Foto der Skulptur hingeschickt, jeder konnte da im Grunde genommen etwas hinschicken.“
„Jeder?“
„Jeder, der selbst irgendetwas fabriziert, von dem er selbst meint, es könnte Kunst sein.“
„Aha.“
„Und Sie glauben ja gar nicht, was papassiert ist…“
„Herr Jakob, so schnell habe ich Sie noch nie sprechen gehört… geht es Ihnen wirklich gut?“
„Aber ja doch! Jetzt hören Sie doch einmal zu! Stellen Sie sich vor, da haben 1147 Menschen ihre selbstgestalteten Kunstwerke oder das, was sie dafür halten, hingeschickt. Und jetzt gab es eine Vorauswahl.“
„Eine Vorauswahl?“
„Jaaaa. Und zwanzig der Meister, äh, Künstler, kommen eine Runde weiter. Danach zehn. Und am Ende gewinnt einer. Und ob Sie es glauben oder nicht: Dieses Huhn hat es unter die ersten zwanzig geschafft!“
„Ach du meine Güte! Herr Jakob! Herzlichen Glückwunsch!“
„Danke danke. Aber bitte, wer will denn solch ein Huhn sehen? Bei der Einsendung habe ich der Skulptur den Titel ‚Das philosophische Huhn‘ gegeben. Ich bitte Sie, was für ein Quatsch. Was soll die Menschheit mit einem philosophischen Huhn anfangen?“
„Mhm.“
„Sehen Sie.“
„Herr Jakob?“
„Ja?“
„Ich bin jetzt auch etwas überrascht…“
„Ach ja?“
„Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ausgerechnet Sie an einem Wettbewerb teilnehmen.“
„Ja nun. Noch halte ich keinen Winterschlaf.“
„Aber können Sie dann überhaupt einschlafen, wenn vorher eine solche Überraschung kam? Das ist doch jetzt sicher sehr aufregend für Sie! Stellen Sie sich vor, Sie werden am Ende berühmt! Sie kommen in die Endauswahl, gewinnen gar einen Preis… Reporter werden vor Ihrem Haus lauern, das Fernsehen, die Medien… “
„Um Gottes willen! Jetzt malen Sie den Teufel nicht an die Wand! Neinnein. Ich sehe dem ganz entspannt entgegen. Wissen Sie, ab und zu eine Überraschung im Leben ist doch etwas Schönes. Die hält Sie jung! Da passiert etwas, mit dem Sie nicht gerechnet haben, etwas ist rasch über sie gekommen, so ganz plötzlich mir nichts dir nichts. Und damit müssen Sie dann leben, damit müssen Sie sich auseinandersetzen. Und merken, dass Sie das eigentlich ganz gut hinbekommen. Da kann dann auch ruhig die nächste Überraschung kommen, wenn Sie schon mit der einen so gut klargekommen sind. Wenn Sie nichts mehr überrascht im Leben, dann rosten Sie gedanklich ein. Dann laufen Sie immer die gleiche Bahn, ohne auch nur einmal nach links oder rechts zu springen.“
„Oder Purzelbäume zu schlagen?“
„Genau! Sie sagen es!“